(Oficerskaja pamjatka, 1901)
„Wer aber ärgert dieser Geringsten einen, die an mich glauben, dem wäre besser, daß ein Mühlstein an seinen Hals gehängt und er ersäufet würde im Meer, da es am tiefsten ist. Wehe der Welt der Ärgernis halben! Es muß ja Ärgernis kommen; doch wehe dem Menschen, durch welchen Ärgernis kommt!“
Matthäus-Evangelium 18, 6-7
In allen Soldatenstuben hängt, an der Wand angeschlagen, der vom General Dragomirow verfaßte ,,Denkzettel für Soldaten“. Dieser ist ein Sammelsurium pseudo-soldatischer volkstümlicher (jedem Soldaten völlig fremder) dumm-toller Worte, die mit lästerlichen Zitaten aus dem Evangelium untermischt sind. Die evangelischen Aussprüche sind angeführt zur Bekräftigung davon, daß die Soldaten töten müssen, ihre Feinde mit den Zähnen beißen müssen: ,,Ist das Bajonett zerbrochen, schlag mit den Fäusten; versagen die Fäuste, klammere dich mit den Zähnen fest.“ Am Schlusse des ,,Denkzettels“ aber heißt es, Gott ist der General der Soldaten: „Gott ist euer General“.
Nichts beweist augenscheinlicher als dieser ,,Denkzettel“ jenen entsetzlichen Grad von Unwissenheit, sklavischer Unterwürfigkeit und Vertierung, bis zu welchem in unserer Zeit die russischen Menschen gekommen sind. Seitdem diese entsetzliche Lästerung erschien und in allen Kasernen aufgehängt wurde, und das ist schon sehr lange her, hat weder ein Vorgesetzter noch ein Geistlicher, die, sollte man meinen, die Verdrehung des Sinnes der evangelischen Texte direkt angeht, eine Verurteilung dieses ekelhaften Erzeugnisses zum Ausdruck gebracht, und es wird weiter in Millionen Exemplaren gedruckt und von Millionen Soldaten gelesen, die dies entsetzliche Werk als Leitfaden für ihre Tätigkeit annehmen.Dieser Denkzettel hat mich schon längst empört, und da ich fürchte, ich könnte es nicht rechtzeitig vor meinem Tode tun, habe ich jetzt ein Zirkular an die Soldaten geschrieben, in dem ich ihnen ins Gedächtnis zurückzurufen mich bemühe, daß sie als Menschen und Christen ganz andere Pflichten vor Gott haben, als die, welche in diesem Denkzettel zur Schau gestellt sind. Eine solche Erinnerung, glaube ich, ist nicht für die Soldaten allein nötig, sondern noch mehr für den Offizierstand (unter Offizieren verstehe ich alle militärischen Vorgesetzten vom Fähnrich bis zum General), der in den Kriegsdienst eintritt oder in ihm bleibt nicht aus Zwang, wie die Soldaten, sondern aus eigener Lust. Diese Erinnerung, scheint mir, ist zu unserer Zeit besonders nötig.
Gut war es wohl vor 100 oder 50 Jahren, als der Krieg für eine notwendige Bedingung des Lebens der Völker gehalten wurde, als die Angehörigen des Volkes, mit dem Krieg geführt wurde, für Barbaren, Ungläubige und Missetäter gehalten wurden, und als es den Militärs gar nicht in den Sinn kam, sie wären nötig für Unterdrückung und Bändigung ihres eigenen Volkes, – gut war es damals, eine bunte, mit Tressen benähte Uniform anzuziehen, säbelrasselnd und sporenklirrend einherzustolzieren oder hoch zu Roß vor dem Regiment sich zu tummeln und sich als Held vorzukommen, der, wenn er es auch noch nicht geopfert habe, so doch bereit sei, sein Leben für den Schutz seines Vaterlandes zu opfern. Aber jetzt, wo die häufigen internationalen Beziehungen – in Handel, Gesellschaft, Wissenschaft, Kunst – die Völker unter sich so angenähert haben, daß jeder Krieg zwischen heutigen Völkern als eine Art Familienzank erscheint, der die heiligsten Bande der Menschen zerstört, wo Hunderte von Friedensgesellschaften und Tausende von Aufsätzen, nicht nur in speziellen, sondern auch in allgemeinen Zeitungen unaufhörlich auf jede Art und Weise die Torheit des Militarismus und die Möglichkeit, ja die Notwendigkeit, den Krieg zu vernichten, erläutern; jetzt, wo – und das ist die Hauptsache – die Militärs immer häufiger nicht gegen äußere Feinde zum Schutze ihres Vaterlandes vor angreifenden Eroberern oder zur Vermehrung seines Ruhmes und seiner Macht ausrücken müssen, sondern gegen unbewaffnete Fabrikarbeiter oder Bauern, – ist das Rossetummeln in tressengeschmückter Uniform und das stutzerhafte Stolzieren vor den Kompagnien schon nicht eine leere, nicht eine verzeihliche Eitelkeit, wie es früher der Fall war, sondern etwas ganz anderes.
In der alten Zeit, wenigstens unter Nikolaus I., kam es niemand in den Sinn, daß Heere hauptsächlich dazu nötig wären, um auf unbewaffnete Einwohner zu schießen. Jetzt aber sind in den Hauptstädten und Fabrikorten beständig Truppen verteilt, zu dem Zwecke, bereit zu sein, Arbeiterversammlungen auseinanderzutreiben, und selten vergeht ein Monat, ohne daß man die Truppen mit scharfen Patronen aus den Kasernen herausführt und auf einem freien Platze aufstellt, damit sie jeden Augenblick bereit seien, auf das Volk zu schießen.
Die Verwendung von Truppen gegen das Volk ist nicht nur eine gewöhnliche Erscheinung geworden, sondern die Truppen werden von vornherein schon so formiert, daß sie für diese ihre Verwendung bereit sind. Die Regierung verheimlicht es nicht, daß die Verteilung der Rekruten auf die Garnisonen absichtlich so erfolgt, daß die Soldaten niemals aus jenen Orten genommen werden, wo sie stehen. Das geschieht, damit die Soldaten nicht auf ihre Verwandten schießen müssen.
Der deutsche Kaiser hat es bei jeder Rekruteneinstellung ausgesprochen und spricht es aus (Rede vom 23. Mai 1901), daß die Soldaten, die ihm den Eid geleistet haben, mit Leib und Seele ihm gehören, daß sie nur einen Feind haben – das ist sein Feind. Und daß dieser Feind die Sozialisten (d. h. die Arbeiter) sind, welche die Soldaten, wenn er es ihnen befiehlt, niederschießen müssen, sollten es auch ihre leiblichen Brüder oder gar ihre Eltern sein.
Außerdem waren in früheren Zeiten, wenn Truppen auch gegen Leute aus dem Volke gebraucht wurden, jene, gegen welche sie gebraucht wurden, Missetäter (oder wenigstens wurden dafür gehalten), die bereit wären, friedliche Bewohner zu töten und zu ruinieren: sie müsse man deshalb, nahm man an, zum allgemeinen Besten vernichten. Jetzt aber wissen alle, daß diejenigen, gegen die die Truppen ausgeschickt werden, größtenteils friedliche arbeitsliebende Leute sind, die nur ungehindert die Früchte ihrer Arbeit zu genießen wünschen. Die hauptsächliche und beständige Verwendung der Truppen in unserer Zeit besteht also schon nicht in einem eingebildeten Schutz gegen Ungläubige und überhaupt äußere Feinde, auch nicht gegen verbrecherische Aufrührer, innere Feinde, sondern darin, ihre unbewaffneten Brüder zu töten, die keineswegs Missetäter sind, sondern friedliche, arbeitsliebende Leute, die nur wünschen, daß man ihnen nicht das wegnimmt, was sie erarbeiten. Der Militärdienst ist also in unserer Zeit, wo seine Hauptbestimmung darin besteht, durch die Androhung der Tötung oder durch Tötung geknechtete Leute in jenen ungerechten Bedingungen festzuhalten, in denen sie sich befinden, – schon nicht nur kein edles, sondern gerade ein gemeines Werk. Und darum müssen die jetzt dienenden Offiziere über das nachdenken, dem sie dienen, und fragen, ob das gut oder schlecht ist, was sie tun?
Ich weiß, es gibt viele Offiziere, besonders unter den höheren Graden, die durch verschiedene Raisonnements über das Thema der Rechtgläubigkeit, der Selbstherrschaft, der Unversehrtheit des Staates, der Unvermeidlichkeit eines immerwährenden Krieges, der Notwendigkeit der Ordnung, der Unhaltbarkeit der sozialistischen Träumereien u.s.w. sich bemühen, sich selbst zu beweisen, daß ihre Tätigkeit vernünftig, nützlich sei und nichts Unmoralisches in sich schließe. Aber sie glauben in der Tiefe der Seele selbst nicht an das, was sie sagen, und je verständiger und je älter sie werden, desto weniger glauben sie daran.
Ich erinnere mich, wie freudig mich mein Freund und Kamerad überraschte, ein sehr ehrgeiziger Mann, der sein ganzes Leben dem Militärdienste geweiht und die höchsten Ränge und Auszeichnungen erreicht hatte (Generaladjutant und General der Artillerie), als er mir sagte, er habe seine Memoiren über die Kriege, an denen er teilgenommen, verbrannt, weil er seine Ansicht über das Militärwesen geändert habe und jetzt jeden Krieg für eine böse Sache halte, die man, wenn man sich mit ihr befasse, nicht aufmuntern, sondern im Gegenteil auf jede Weise diskreditieren müsse. Viele Offiziere denken ebenso, obgleich sie es nicht aussprechen, solange sie im Dienst sind. Im Grunde genommen kann jeder denkende Offizier auch nicht anders denken. Man braucht doch nur darüber nachzudenken, was die Beschäftigung aller Offiziere, vom untersten Grad bis zum höchsten, bis zum Korps-Kommandeur, ausmacht? Von Anfang bis zum Ende ihres Dienstes – ich spreche von den Frontoffizieren – besteht ihre Tätigkeit, mit Ausnahme der seltenen und kurzen Perioden, wo sie in den Krieg ziehen und sich mit Töten beschäftigen, – in der Erreichung zweier Ziele: die Soldaten die Fähigkeit zu lehren, auf die beste Weise Menschen zu töten, und sie zu solchem Gehorsam zu dressieren, daß sie mechanisch, ohne Überlegung alles tun, was ihnen der Vorgesetzte befiehlt. In der alten Zeit sagte man: „Zwei peitsche zu Todes, einen lehre“ und tat auch so. Wenn jetzt der Prozentsatz der Getöteten geringer ist, so ist das Prinzip dasselbe geblieben. Man kann Menschen nicht bis zu diesem nicht tierischen, sondern Maschinenzustand bringen, in dem sie eine der Natur des Menschen und dem von ihnen bekannten Glauben ganz entgegengesetzte Tat ausführen, nämlich Mord auf Befehl eines jeden Vorgesetzten, ohne daß man außer schlauen Täuschungen auch noch durch die grausamsten Vergewaltigungen auf diese Leute einwirkt. So wird es auch gemacht. Jüngst erregte die durch einen Journalisten veranlaßte Aufdeckung jener grausamen Qualen, denen die Soldaten in den Strafbataillonen auf der Insel Oleron, sechs Stunden Fahrt von Paris, unterworfen werden, in der französischen Presse Lärm. Den Sträflingen band man die Hände mit den Füßen auf dem Rücken zusammen und warf sie so auf die Erde, setzte an die Daumen der auf dem Rücken zusammengebogenen Hände Schrauben an, drehte sie so weit an, daß jede Bewegung entsetzlichen Schmerz verursachte, hing sie mit den Füßen nach oben auf u.s.w.
Wenn wir dressierte Tiere sehen, die etwas ihrer Natur Widersprechendes ausführen: Hunde gehen auf den Vorderpfoten, Elefanten rollen Fässer, Tiger spielen mit Löwen u.s.w. – so wissen wir, das alles ist durch Qualen des Hungers, der Hetzpeitsche und des glühenden Eisens erreicht. Dasselbe wissen wir, wenn wir Leute sehen, die in Uniformen mit Gewehren in Unbeweglichkeit erstarren oder immer wieder eine und dieselbe Bewegung ausführen, laufen, springen, schießen, schreien u.s.w., überhaupt jene schönen Paraden und Manöver ausführen, die Kaiser und Könige so gern haben und deren sie sich voreinander rühmen. Man kann aus einem Menschen nicht alles Menschliche heraustreiben und ihn zum Zustand einer Maschine bringen, ohne ihn zu quälen und ohne ihn nicht einfach zu quälen, sondern auf die feinste, grausamste Weise zugleich zu quälen und zu täuschen.
Und alles dies tut ihr – Offiziere. Darin besteht, außer den seltenen Fällen, wo ihr in den wirklichen Krieg zieht, euer ganzer Dienst, vom höchsten Range bis zum niedrigsten.
Zu euch kommt ein aus der Familie ans andere Ende der Welt abtransportierter junger Mann, dem eingeblasen ist, jener betrügerische, vom Evangelium verbotene Eid, den er angenommen hat, fessele ihn unwiderruflich, etwa so, wie ein auf den Boden gelegter Hahn mit einem vor seinem Schnabel gezogenen Strich denkt, er sei durch diesen Strich gefesselt. Er kommt zu euch in voller Ergebenheit und in der Hoffnung, ihr, ältere Leute, verständiger und gelehrter als er, werdet ihn alles Gute lehren. Anstatt daß ihr ihn aber von jenem Aberglauben befreit, den er mit sich gebracht hat, impft ihr ihm neuen, ganz unsinnigen, rohen und schädlichen Aberglauben ein: von der Heiligkeit der Fahne, von der fast göttlichen Bedeutung des Zaren, von der Verpflichtung zu einer in allem widerspruchslosen Unterwerfung unter die Vorgesetzten. Und wenn ihr mit Hilfe der in eurem Fach ausgearbeiteten Methoden der Betäubung der Menschen ihn in einen Zustand bringt, der schlechter ist als ein tierischer, so daß er bereit ist, alle zu töten, die man befiehlt, auch seine unbewaffneten Brüder, – zeigt ihr ihn voll Stolz den Vorgesetzten und erhaltet dafür Dank und Belohnungen. Selbst ein Mörder zu sein, ist entsetzlich; doch mit schlauen und grausamen Methoden eure Brüder, die sich auf euch verlassen, dahin zu bringen – ist das fürchterlichste Verbrechen. Und das verübt ihr, und darin besteht euer ganzer Dienst.
Deshalb ist es nicht verwunderlich, daß unter euch mehr als in jedem andern Kreise alles das blüht, was das Gewissen zu betäuben vermag: Rauchen, Karten, Trunkenheit, Sittenverderbnis, und am häufigsten Selbstmorde vorgekommen.
„Es muß ja Ärgernis in die Welt kommen; doch wehe dem Menschen, durch den Ärgernis kommt.“
Ihr sagt oft, ihr dient deshalb, weil, wenn ihr nicht dientet, dann die bestehende Ordnung vernichtet und Unruhen und Unheil aller Art eintreten würden.
Aber erstens, es ist unwahr, daß ihr besorgt seid um die Aufrechterhaltung der bestehenden Ordnung: ihr seid nur um eure eigenen Vorteile besorgt.
Zweitens, wenn auch eure Zurückhaltung vom Militärdienste die bestehende Ordnung zerstörte, so würde das auf keine Weise beweisen, ihr müßtet ein schlechtes Werk weiter verrichten, sondern nur, daß die Ordnung, die infolge eurer Zurückhaltung zerstört wird – vernichtet werden muß. Wenn die nützlichsten Anstalten existierten: Krankenhäuser, Schulen, Armenhäuser, und zwar unterhalten aus den Einkünften von Toleranzhäusern, so könnte aller Nutzen, den diese wohltätigen Anstalten bringen, auf keine Weise in ihrer Lage eine Frau zurückhalten, die sich aus ihrem schändlichen Gewerbe zu befreien wünscht.
„Ich bin nicht schuld“, wird die Frau sagen, „daß ihr eure wohltätigen Anstalten auf der Sittenverderbnis errichtet habt. Ich will nicht länger liederlich sein, und mit euren Anstalten habe ich nichts zu tun“. Dasselbe muß auch jeder Soldat sagen, wenn man zu ihm von der Notwendigkeit spricht, die bestehende Ordnung zu erhalten, die auf seiner Bereitschaft zum Morde begründet ist. ,,Richtet die allgemeine Ordnung so ein, daß für sie kein Mord nötig ist“, muß der Soldat sagen, „und ich werde sie nicht zerstören. Ich will und kann nur nicht ein Mörder sein“.
Es sprechen noch viele unter euch: ,,Ich bin so erzogen, ich bin durch meine Stellung gebunden und kann aus ihr nicht austreten.“ Doch auch dies ist unrichtig.
Ihr könnt immer aus eurer Stellung austreten. Wenn ihr aber nicht aus ihr austretet, so tut ihr dies nur deshalb, weil ihr vorzieht, in Widerspruch mit eurem Gewissen zu leben und zu wirken, als auf einige weltliche Vorteile zu verzichten, die euch euer ehrloser Dienst gewährt. Vergeßt nur, daß ihr Offiziere seid, und denkt daran, daß ihr Menschen seid, und ein Ausweg aus eurer Lage wird sich sofort vor euch auftun. Dieser Ausweg ist der beste und ehrenvollste: versammelt die Abteilung, die ihr kommandiert, tretet vor sie hin und bittet die Soldaten um Verzeihung für alles das Böse, das ihr ihnen durch Täuschung zugefügt habt, und hört auf, Soldat zu sein. Dies Vorgehen ist, so scheint es, sehr kühn und erfordert großen Mut; indessen ist zu einem solchen Vorgehen viel weniger Mut nötig, als dazu, einen Sturmangriff zu machen oder für Beleidigung der Uniform zum Duell herauszufordern, – was zu tun ihr, als Militärs, immer bereit seid, und was ihr tut.
Doch wenn ihr auch nicht imstande seid, so zu verfahren, so könnt ihr immer, habt ihr einmal das Verbrecherische des Kriegsdienstes begriffen, aus ihm austreten und ihm jede andere, wenn auch weniger vorteilhafte Tätigkeit vorziehen.
Ich weiß, es gibt noch viele Offiziere vom höchsten bis zum niedrigsten Rang, die so unwissend oder hypnotisiert sind, daß sie keine zwingende Notwendigkeit in jenem oder im zweiten oder im dritten Schlusse sehen und ruhig weiter dienen und unter den jetzigen Bedingungen bereit sind, auf ihre Brüder zu schießen, und sich dessen sogar rühmen; doch zum Glück straft die öffentliche Meinung solche Leute immer mehr mit Abkehr und Verachtung, und ihre Zahl wird immer geringer.
In unserer Zeit also, wo die brudermörderische Bedeutung des Heeres augenscheinlich geworden ist, ist es für die Offiziere schon nicht möglich, nicht nur die alten Überlieferungen der kriegerischen, selbstzufriedenen Verwegenheit fortzusetzen, sondern es ist schon nicht möglich, ohne das Bewußtsein um ihre menschliche Erniedrigung und Schande das verbrecherische Werk fortzuführen, einfache, ihnen vertrauende Leute den Mord zu lehren und sich selbst zur Teilnahme am Morde unbewaffneter Bewohner vorzubereiten.
Das ist es, was jeder denkende und gewissenhafte Offizier unserer Zeit begreifen und bedenken muß.
Gaspra, den 7./20. Dezember 1901
Lew Tolstoj
Textquelle dieser Übersetzung ǀ L. N. Tolstoj: „Denkzettel für Offiziere“ [1901]. In: L. N. Tolstoj: Ausgewählte Werke, herausgegeben von W. Lüdtke. Band XII.: Weltanschauung. Auswahl von W. Lüdtke. Wien/Hamburg/Zürich: Gutenberg-Verlag Christensen & Co. 1929, S. 196-202. – Texterfassung für die Tolstoi-Friedensbibliothek: Peter Bürger.