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Lesesaal

Ob man den Militärdienst verweigern muss? Ich antworte mit einem kategorischen „Ja“!

Im Jahr 1968 veröffentlichte das US-Magazin „The Atlantic“ im Februar-Heft in englischer Übersetzung einen Brief Leo N. Tolstois an den jungen Hessen Ernst Schramm. Der Text wurde mit folgenden Zeilen eingeleitet (Übersetzung): Der Brief von Leo Tolstoi, der hier zum ersten Mal veröffentlicht wird, dramatisiert die häufige Tatsache, dass die Vergangenheit nur ein Prolog ist. Er wurde 1899 an einen verzweifelten jungen Wehrpflichtigen geschrieben. Tolstois Worte werden einigen eine Relevanz für Amerika im Jahr 1968 zu haben scheinen. In Verbindung damit veröffentlichen wir … eine sorgfältig begründete Untersuchung des zivilen Ungehorsams von einem Bundesrichter, der heute direkt mit dem Thema konfrontiert ist.

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Lass den Funken nicht zum Großbrand werden

Упустишь огонь – не потушишь ǀ Upustisch ogon – ne potuschisch
Ein Gleichnis wider die Eskalationsspirale der Gewalt, 1885

Es gibt nicht wenige Parabeln auf den Krieg, die eine eskalierende Nachbarschaftsfehde zum Gegenstand haben. Eine frühe Version stammt vom russischen Dichter Leo N. Tolstoi (1828-1910): „Lösche das Feuer, solange es glimmt!“

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Patriotismus oder Frieden?

ПАТРИОТИЗМ ИЛИ МИР? – Patriotizm ili mir?

(Brief, Januar 1896)

Geehrter Herr!
Sie wünschen, ich möchte mich in Bezug auf die Vereinigten Staaten „im Interesse der christlichen Folgerichtigkeit und des wahren Friedens“ aussprechen, und drücken die Hoffnung aus, „daß die Völker sich bald auf das einzige Mittel zur Sicherung des internationalen Friedens besinnen werden“.

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Rede gegen den Krieg

Auf dem Friedenskongreß, der in diesem September 1909 in Stockholm tagen sollte, wollte Leo Tolstoi eine Ansprache an die Delegierten halten. Der Kongreß fand nicht statt. Tolstoi hatte jetzt den Wunsch, zu gleicher Zeit allen Völkern mitzuteilen, was damals zu sagen er verhindert worden war. Der „Sozialist“ ist gebeten worden, den Völkern Deutschlands und der Schweiz Tolstois Worte mitzuteilen. Wir kommen unserer Menschenpflicht, die Worte des großen verehrungswürdigen Mannes weiterzugeben, wie er es will, hiermit getreulich nach. Wir lassen von seinen Worten keine Silbe weg; wir fügen kein Wort hinzu.

Der Sozialist. Organ des sozialistischen Bundes – Bern, den 1. Dezember 1909
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Militarismus und Religion

Brief an einen Feldwebel

(ПИСЬМО К ФЕЛЬДФЕБЕЛЮ ǀ Pisʼmo k felʼdfebelju, 1899)

Sie wundern sich darüber, daß man die Soldaten lehrt, es sei – in bestimmten Fällen und im Kriege – erlaubt, Menschen zu töten, indes in dem Buche, das von denselben Lehrern heilig gehalten wird, nichts, das dergleichen erlauben würde, zu lesen ist, und im Gegenteil nicht nur jede Menschentötung, sondern auch jede Beleidigung des Menschen untersagt wird. Auch ist darin das Verbot zu finden, anderen zu tun, was man für sich selbst mißbilligen würde. Sie fragen, ob Lehren, die diesen zuwiderlaufen, nicht eine Schurkerei sind, und wenn sie es sind, zu wessen Gunsten sie begangen werden.

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Der einfältige Iwan und die Soldaten

Auszug aus dem „Märchen von Iwan dem Dummkopf“

Сказка об Иване-дураке ǀ Skaska ob Iwane-durake, 1885

Im Jahr 1885 schrieb Leo N. Tolstoi „Das Märchen von Iwan dem Dummkopf“, eine verdeckte Kritik an Zarenherrschaft, Militarismus und Weltgefüge im Dienste der Reichen. Dieses ‚politische Märchen‘ wider die Symbiose von Münze, Macht und Militär, das – aufgrund eines klugen Vorgehens – 1886 unerwartet die russische Zensur passieren konnte und erst 1892 den Behörden mit Blick auf die populäre Verbreitung missliebig war, erzählt die Geschichte der drei Söhne eines durchaus begüterten Bauern.

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Es ist Zeit, zu begreifen

Ein staatskritischer Text über den „Dschingis Khan mit Telegraphen“

(Pora ponjatʼ, 1909 – Übertragung für die Tolstoi-Friedensbibliothek, 19.02.2023)

„Ein Staat, der auf Kalkül beruht und durch Furcht zusammengehalten wird, ist ein ebenso abscheuliches wie zerbrechliches Gebäude“, sagt Amiel [Henri-Frédéric Amiel, 1821-1881] an irgendeiner Stelle. Dem vermag man gar nicht zu widersprechen, und man kann es mit dem Verstand nachvollziehen; aber neben diesem verstandesmäßigen Zugang kann man mit dem ganzen Wesen ein Gefühl des Ekels und des Entsetzens vor einem solchen Gebilde empfinden, wenn man in ihm lebt, und die ganze Hässlichkeit und Zerbrechlichkeit dieses Gebildes bleibt in keiner Weise verborgen. Die überwiegende Mehrheit der 150 Millionen Menschen in Russland teilt jetzt genau dieses Gefühl.

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„Nikolai Palkin“

Der Zar als Peitschenmann – Nachbetrachtungen zum Gespräch mit einem betagten Soldaten im Jahr 1886

Nikolaus I. Pawlowitsch (1796-1855), ein Nachfahre des Herzogs Karl Friedrich von Schleswig-Holstein-Gottorf (1700-1739), gelangte 1825-1855 als Zar zu traurigem „Ruhm“. Von ihm und einem betagten Veteranen erzählt Tolstoi in dieser 1886/87 entstandenen Skizze wider die Staatsmacht.

Übertragung für die Tolstoi-Friedensbibliothek, Stand 08.02.2023

Wir haben die Nacht mit einem fünfundneunzigjährigen Soldaten verbracht. Er diente ehedem unter Alexander I. und Nikolai.
„Was, du willst sterben?“

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„Der Patriotismus ist für die Herrschenden ein Mittel zur Erreichung ihrer Ziele“

Auszug aus Tolstois Schrift „Die Annexion Bosniens und der Herzegowina“

(O prisojedinenii Bosnii I Gerzogowiny k Awstrii, 1908)

[…] Das, was man heute Patriotismus nennt, ist einerseits nur eine gewisse Stimmung, die durch die Schulen, die Religion und eine käufliche Presse beständig im Volke erzeugt und in einer für die Regierung notwendigen Richtung wachgehalten wird, andererseits ist der Patriotismus nichts wie ein durch ungewöhnliche Mittel von den herrschenden Klassen hervorgerufener Zustand der Erregung bei den moralisch und geistig am tiefsten stehenden Schichten der Bevölkerung, der nachher für den Ausdruck des dauernden Willens des ganzen Volkes ausgegeben wird. Der Patriotismus der unterjochten Völker bildet darin keine Ausnahme. Ebensowenig ist er den arbeitenden Massen eigentümlich und wird ihnen nur von den herrschenden Klassen eingeimpft.

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Die Haltung der frühen Christen zum Krieg

Zusammengestellt von Nikolaj N. Gussew,
bearbeitet von Leo N. Tolstoi

(Zuerst postum veröffentlicht 1917 in einer Neuausgabe
von Tolstois Lesezyklus „Krug čtenija, 1904-1908“)

„Der ganze Erdkreis steht in der Raserei eines gegenseitigen Blutvergießens, und Mord, der als Verbrechen gilt, wenn ein einzelner Mensch ihn verübt, wird als Tugend bezeichnet, wenn er in der Masse geschieht.“ – So schrieb der berühmte Cyprian [Bischof von Kathargo] im dritten Jahrhundert über den Krieg. Die gesamte christliche Gemeinschaft der ersten Jahrhunderte, bis hin zum fünften Jahrhundert, hatte dieselbe Einstellung zum Krieg. Die Leitungen der christlichen Gemeinschaft erkannten es klar, dass den Christen jede Art des Tötens verboten ist, also auch das Töten im Krieg.

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