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Lesesaal

Zwei Kriege

[Dve vojny, 1898]

Übersetzt von Ilse Frapan*
(*Zuerst abgedruckt im „Neuen Jahrhundert“)

In der christlichen Welt gehen gegenwärtig zwei Kriege vor sich. Freilich ist der eine schon zu Ende, der andere noch nicht, aber sie bestanden doch eine Weile zu derselben Zeit, und der Gegensatz zwischen ihnen war frappant. Der eine – jetzt schon beendigte – Krieg war der alte ehrgeizige, dumme und grausame, unzeitige, antiquierte, heidnische Krieg, der spanisch-amerikanische, welcher durch die Tötung der einen Gruppe Menschen die Frage lösen wollte, wie und von wem die Anderen regiert werden müssen. Der andere, noch jetzt dauernde Krieg, der nur dann endigen kann, wenn alle Kriege zu Ende sein werden – das ist der neue, selbstverleugnende, auf der Liebe und Vernunft allein gegründete, heilige Krieg, der Krieg gegen den Krieg, welchen der beste, vorgeschrittene Teil der christlichen Menschheit schon lange (wie Victor Hugo das auf einem Kongresse ausdrückte) dem anderen rohen, wilden Teile derselben Menschheit erklärt hat, und welchen ein Häuflein Christenmenschen – die kaukasischen Duchoboren – in der letzten Zeit mit besonderer Kraft und mit Erfolg gegen die mächtige russische Regierung führt.

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Soldatenartikel

(Denkzettel für Soldaten: Soldatskaja pamjatka, 1901)

„Darum fürchtet euch nicht vor ihnen. Es ist nichts verborgen, das nicht offenbar werde, und ist nichts heimlich, das man nicht wissen werde. Was ich euch sage in der Finsternis, das redet im Licht, und was ihr höret in das Ohr, das prediget auf den Dächern. Und fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten und die Seele nicht mögen töten. Fürchtet euch aber vielmehr vor dem, der Leib und Seele verderben mag in die Hölle.“

(Matthäus-Evangelium 10, 26. 27. 28)

„Petrus aber antwortete und die Apostel und sprachen: Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen.“

(Apostel-Geschichte 5, 29)

Soldat, du hast schießen, stechen, marschieren gelernt, man hat dich Lesen und Schreiben gelehrt, nach dem Exerzierplatz und zur Truppenschau geführt, vielleicht auch hast du einen Krieg mitgemacht, mit Türken und Chinesen gekämpft und alles ausgeführt, was dir befohlen wurde; es ist dir wohl nie in den Kopf gekommen, dich zu fragen, ob es gut oder böse ist, was du tust.

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Denkzettel für Offiziere

(Oficerskaja pamjatka, 1901)

„Wer aber ärgert dieser Geringsten einen, die an mich glauben, dem wäre besser, daß ein Mühlstein an seinen Hals gehängt und er ersäufet würde im Meer, da es am tiefsten ist. Wehe der Welt der Ärgernis halben! Es muß ja Ärgernis kommen; doch wehe dem Menschen, durch welchen Ärgernis kommt!“

Matthäus-Evangelium 18, 6-7

In allen Soldatenstuben hängt, an der Wand angeschlagen, der vom General Dragomirow verfaßte ,,Denkzettel für Soldaten“. Dieser ist ein Sammelsurium pseudo-soldatischer volkstümlicher (jedem Soldaten völlig fremder) dumm-toller Worte, die mit lästerlichen Zitaten aus dem Evangelium untermischt sind. Die evangelischen Aussprüche sind angeführt zur Bekräftigung davon, daß die Soldaten töten müssen, ihre Feinde mit den Zähnen beißen müssen: ,,Ist das Bajonett zerbrochen, schlag mit den Fäusten; versagen die Fäuste, klammere dich mit den Zähnen fest.“ Am Schlusse des ,,Denkzettels“ aber heißt es, Gott ist der General der Soldaten: „Gott ist euer General“.

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