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Die Haltung der frühen Christen zum Krieg

Zusammengestellt von Nikolaj N. Gussew,
bearbeitet von Leo N. Tolstoi

(Zuerst postum veröffentlicht 1917 in einer Neuausgabe
von Tolstois Lesezyklus „Krug čtenija, 1904-1908“)

„Der ganze Erdkreis steht in der Raserei eines gegenseitigen Blutvergießens, und Mord, der als Verbrechen gilt, wenn ein einzelner Mensch ihn verübt, wird als Tugend bezeichnet, wenn er in der Masse geschieht.“ – So schrieb der berühmte Cyprian [Bischof von Kathargo] im dritten Jahrhundert über den Krieg. Die gesamte christliche Gemeinschaft der ersten Jahrhunderte, bis hin zum fünften Jahrhundert, hatte dieselbe Einstellung zum Krieg. Die Leitungen der christlichen Gemeinschaft erkannten es klar, dass den Christen jede Art des Tötens verboten ist, also auch das Töten im Krieg.

Der Philosoph Tatian, der im zweiten Jahrhundert zum Christentum konvertierte, hielt Mord im Krieg für Christen ebenso wenig für akzeptabel wie jeden anderen Mord und betrachtete den militärischen Kranz zur Siegerehrung für einen Christen als unanständig. Im selben Jahrhundert sagte Athenagoras von Athen, dass Christen sich nicht nur niemals selbst töten, sondern es auch vermeiden, bei Morden anwesend zu sein.

Im dritten Jahrhundert stellte Clemens von Alexandria den heidnischen „kriegerischen“ Nationen einen „friedlichen Stamm der Christenheit“ gegenüber. Am deutlichsten aber brachte der berühmte Origenes die Abscheu der Christen gegenüber dem Krieg zum Ausdruck. Indem er die Worte Jesajas auf die Christen anwandte – dass nämlich die Zeit kommen wird, in der die Menschen Schwerter zu Sicheln und Spieße zu Pflugscharen umschmieden –, antwortete er ganz unmissverständlich: „Wir greifen nicht zu den Waffen gegen irgendein Volk, wir lernen nicht die Kunst des Krieges; denn durch Jesus Christus sind wir Kinder des Friedens geworden.“ Auf den Vorwurf des Celsus, die Christen würden sich dem Militärdienst entziehen, so dass das Römische Reich, wenn es christlich werde, untergehe, antwortete Origenes, dass die Christen mehr als andere für das Wohl des Kaisers kämpften – und zwar durch ihre guten Taten, ihr Gebet und ihren guten Einfluss auf die Menschen. Was aber den Kampf mit Waffen anbelange, so sei es vollkommen rechtschaffen, dass Christen nicht zusammen mit kaiserlichen Truppen kämpfen; sie würden auch nicht zum Kampf (der Soldaten) Folge leisten, wenn der Kaiser sie dazu zwingt.

Tertullian, ein Zeitgenosse von Origenes, betonte ebenfalls, dass es für einen Christen unmöglich ist, Soldat zu sein. „Es geht nicht an, gleichzeitig dem Zeichen Christi und dem Zeichen des Teufels oder einer Festung des Lichts und einer Festung der Finsternis zu dienen“, sagt er über den Militärdienst, „eine Seele kann nicht zwei Herren dienen. Und wie könnte man zum Schwert greifen, das der Herr selbst (uns) weggenommen hat? Ist es möglich, das Schwert zu gebrauchen, wenn der Herr gesagt hat, dass jeder, der das Schwert hält, durch das Schwert umkommen wird? Und wie sollte ein Sohn des Friedens in den Kampf ziehen können?“

Im vierten Jahrhundert lehrte Lactantius das Gleiche. „Es soll keine Ausnahme geben von Gottes Gebot, dass es immer eine Sünde ist, einen Menschen zu töten“, sagte er. – „Das Tragen von Waffen ist den Christen nicht erlaubt, denn ihre Waffe ist allein die Wahrheit.“ In den Regeln der ägyptischen Kirche des dritten Jahrhunderts und im so genannten „Testament unseres Herrn Jesus Christus“ ist es jedem Christen unter Androhung der Exkommunikation unbedingt verboten, sich zum Militärdienst zu melden.

Die „apostolische Geschichte“ enthält viele Beispiele für christliche Märtyrer der ersten Jahrhunderte, die leiden mussten, weil sie sich weigerten, weiterhin in den römischen Legionen zu dienen.

So antwortete zum Beispiel Maximilian, der zum Militärdienst eingezogen wurde, auf die Frage des Prokonsuls nach seinem Namen: „Ich heiße Christ und kann deshalb nicht kämpfen.“ Trotz dieser Aussage wurde er als Soldat eingezogen, verweigerte aber den Dienst. Ihm wurde gesagt, dass er zwischen dem Militärdienst und dem Tod wählen müsse. Er sagte: „Ich würde dann lieber sterben, denn zu kämpfen vermag ich nicht.“ Er wurde den Henkern übergeben.

Marcellus war ein Zenturio in der Trojanischen Legion. Im Glauben an die Lehre Christi und in der Überzeugung, dass der Krieg unchristlich ist, zog er vor den Augen der ganzen Legion seine militärische Rüstung aus, warf sie auf den Boden und erklärte, dass er, da er Christ geworden sei, nicht mehr im Militär dienen könne. Er wurde inhaftiert, aber selbst im Gefängnis sagte er: „Ein Christ darf keine Waffen tragen!“ Er wurde hingerichtet.

Nach Marcellus verweigerte auch Cassianus, der in der gleichen Legion diente, den Kriegsdienst. Auch er wurde hingerichtet.

Unter Julian dem Apostaten weigerte sich Martin, der in einem militärischen Umfeld aufgewachsen war, den Militärdienst fortzusetzen. Während des Verhörs durch den Kaiser sagte er nur: „Ich bin Christ und kann deshalb nicht kämpfen.“

Das Erste Ökumenische Konzil [Nicäa, 325 nach Chr.] hat für die Wiederaufnahme von Christen, die aus dem Dienst ausgeschieden sind, ein strenges Verfahren festgelegt. Der Originaltext dieses Dekrets lautet in der von der orthodoxen Kirche anerkannten Übersetzung wie folgt:

„Diejenigen, die aus Gnade zum Bekenntnis des Glaubens berufen wurden und – dem ersten Impuls des Glaubenseifers folgend – ihren militärischen Gürtel abgelegt haben, dann aber wie Hunde zu ihrem Erbrochenen zurückgekehrt sind [zum Militär] … sollen sich zur Kirche begeben und zehn Jahre lang um Verzeihung bitten, nachdem sie zuvor drei Jahre lang nur in der Vorhalle die Heilige Schrift gehört haben.“

Die Christen, die in der Armee blieben, waren verpflichtet, während des Krieges keinen Feind zu töten. Bereits im vierten Jahrhundert empfahl Basilius der Große, dass Soldaten, die gegen diese Vorschrift verstoßen, drei Jahre lang nicht zur Kommunion zugelassen werden sollten.

Nicht nur in den ersten drei Jahrhunderten des Christentums, während der Christenverfolgung, sondern auch in den Anfängen des Triumphs des Christentums über das Heidentum, als das Christentum als vorherrschende Staatsreligion anerkannt wurde, herrschte unter den Christen also die Überzeugung vor, dass Krieg mit dem Christentum unvereinbar ist. Ferrutius hat dies klar und deutlich zum Ausdruck gebracht (und wurde dafür hingerichtet):

„Es ist für Christen nicht erlaubt, Blut zu vergießen, auch nicht in einem gerechten Krieg und auf Befehl christlicher Herrscher.“

Im vierten Jahrhundert lehrte Luzifer, Bischof von Cagliari [gest. um 370], dass selbst das höchste Gut der Christen – ihr Glaube – „nicht durch die Tötung anderer, sondern durch ihren eigenen Tod“ verteidigt werden müsse. Paulinus, Bischof von Nola, der 431 starb, drohte denjenigen, die dem Kaiser mit Waffen dienten, noch mit ewigen Qualen in der Hölle.

Dies war die christliche Sicht der ersten vier Jahrhunderte bezogen auf die Haltung des Christentums zum Militärdienst.

([Frei bearbeitet.] Nach: Baron Taube, „Das Christentum und die internationale Welt“ und Ruinartʼs „Die Akten der ersten Märtyrer“; zusammengestellt von N. N. Gussew; redigiert vom Herausgeber L. N. Tolstoi.)

In den Anmerkungen der russischen Gesamtausgabe folgen noch Informationen zur Editionsgeschichte dieses Textes: „Der für die zweite Ausgabe des ‚Lesezirkels‘ vorgesehene Artikel wurde von Gussew im Auftrag von Tolstoi zusammengestellt und stützt sich hauptsächlich auf folgende Bücher: M. A. Taube, ‚Christianity and the International World‘ (1905) und Ruinartʼs ‚Acts of the Saints‘. – Das Manuskript des Artikels, das fünf beidseitig beschriebene 4°-Folios umfasst, wurde von Tolstoi redigiert. Tolstois Korrekturen dienten in erster Linie dazu, den trockenen akademischen Ton, den Gussew dem Artikel absichtlich verliehen hatte, um ihn der Zensur zu entziehen, zu beleben. Aufgrund der Zensurbestimmungen erschien der Artikel jedoch nicht in der zweiten Ausgabe des ‚Lesezirkels‘ und wurde erstmals in der ersten unzensierten Juli-Ausgabe des ‚Lesezirkels‘ gedruckt, die 1917 in Moskau erschien (Unity), herausgegeben von W. G. Tschertkow, pp. 33-35.

Textquelle der Vorlage ОТНОШЕНИЕ ПЕРВЫХ ХРИСТИАН К ВОЙНЕ ǀ Lew Tolstoi (Hg.): Krug čtenija [Lesezyklus, 1904-1908]. In: PSS [Russische Gesamtausgabe in 90 Bänden, Moskau 1928-1958ff: Polnoe sobranije sočinenij], Band 41/42, S. 501-515. [Wochenlektüre 14. Juli.] https://tolstoy.ru/online/90/41/#ref37

Die Arbeitsgrundlage der hier dargebotenen Übertragung wurde übersetzt mit www.DeepL.com/Translator (sprachlich nachbearbeitet von Peter Bürger); im Vergleich mit dem russischen Originaltext gegengelesen von Hannelore Tölke und Dmitriy Kostavarov, Textstand 24.01.2023).

Vgl. auch die einzige uns bislang bekannte deutsche Übersetzung (nicht gemeinfrei) von Christiane Körner in der beeindruckenden Edition „Lew Tolstoi: Für alle Tage. Ein Lebensbuch. Mit einem Geleitwort von Volker Schlöndorf und einem Nachwort von Ulrich Schmid. Auf Grundlage der russischen Ausgabe letzter Hand von Christiane Körner revidierte und ergänzte Übersetzung von E. Schmitt und A. Škarvan. München: C.H. Beck 2010.“ [Lizenzausgabe, Berlin: Fröhlich & Kaufmann Verlag 2018, S. 366-368.]

Zum Thema "altkirchlicher Pazifismus": Kirche & Weltkrieg, Band 6

Abbildung (Christenverfolgung Rom): https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Siemiradzki_Christian_Dirce.jpg